So wichtig wie nie: Warum wir Produktivität neu denken müssen – für Menschen, die sich um Menschen kümmern

Morgens Brotdosen packen, Kinder zur Schule und KiGa bringen (d.h. sie sollten möglichst angezogen, Zähne geputzt und satt sein), auf dem Rückweg schnell den Wocheneinkauf erledigen – und pünktlich zum ersten Termin am Laptop sitzen, als wäre das alles nur das „Warm-up“ für den eigentlichen Arbeitstag.

Neulich hat mein Mann sogar noch vor 9 Uhr Morgens einen kleinen Rohrbruch in der Küche repariert. (Mit Ausflug zum Baumarkt. Das Kind, das nicht gesund genug für die Schule, aber krank genug für zu Hause bleiben war, mit im Schlepptau.)

Wer Sorgeverantwortung trägt, lebt oft in zwei Welten, bezogen auf die Bewertung von „Leistung/Arbeit“: der sichtbaren Berufswelt mit Kennzahlen, Deadlines, Projektplänen und Gehalt – und der unsichtbaren Welt zu Hause, in der die Aufgaben zahlreich und gleichzeitig selten messbar sind. Trotzdem kosten sie unglaublich viel Energie und sind vor allem eins: unbezahlt und kaum wertgeschätzt.

Viele von uns (mich eingeschlossen) bewerten ihre gesamte persönliche Produktivität (also auch die Zuhause und in der Freizeit) immer noch nach Maßstäben, die aus einer Zeit stammen, in der diese unsichtbare Leistung gar nicht mitgedacht wurde. Bezahlte Stunden zählen, Aufgaben abhaken, Output messen – als gäbe es keinen Mental Load und keine parallele Schicht zu Hause.

Genau jetzt ist der Moment, diese Produktivitätsmaßstäbe zu hinterfragen. Denn wer seine Produktivität neu definiert, schafft Raum für einen (Arbeits-)Alltag, der Leistung und Leben in Einklang bringt – statt sich im Vergleich zu einem klassischen Büroalltag ständig „hinten dran“ zu fühlen.

Es gibt ja sogar Strömungen, die entschieden dagegen sind irgendwas, was man Zuhause für die Familie erledigt als Arbeit zu bezeichnen. Man habe es sich schließlich so ausgesucht, sich dafür entschieden und mache es ja wohl gerne. Der Vollständigkeit halber sei hier ein einfaches Argument angebracht: Ich habe mir meine Erwerbstätigkeit auch ausgesucht, mich bewusst dafür entschieden und mache es sogar gerne. Trotzdem bleibt es meine Arbeit, für die ich gerne gewertschätzt werde und – ja bitte – auch monetär.

Haben wir das Grundsätzliche geklärt soweit? Kommen wir zu den Gründen, warum du nach dem Lesen deine Produktivität in einem neuen Licht sehen wirst! 😎


Wenn du die ganze Zeit am Rotieren bist und dich am Ende jedes Tages nur ein einziger Gedanke beschäfftigt: „Wieder zu nichts gekommen, was ich eigentlich erledigen wollte.“

Wenn du vor der Frage stehst, jetzt noch das Chaos des Tages zu beseitigen (denn der nächste Tag steht schon in den Startlöchern) oder einfach sitzen zu bleiben und dich mit dem Handy abzulenken – vermeintlich zu entspannen.

In Deutschland leisten Männer ~20,5 Stunden und Frauen knapp ~29,5 Stunden (im Schnitt) unbezahlte Sorgearbeit. Darunter fällt:

  • Zubereitung von Mahlzeiten, Hausarbeit in der Küche
  • Instandhaltung von Haus und Wohnung, Ändern und Pflegen von Textilien
  • Einkaufen, Haushaltsorganisation
  • Gartenarbeit, Pflanzen- und Tierpflege, Bauen und handwerkliche Tätigkeiten
  • Betreuung, Pflege und Unterstützung von Haushaltsmitgliedern
  • Ehrenamt und freiwilliges Engagement, Unterstützung anderer Haushalte
  • Wegezeiten im Zusammenhang mit unbezahlter Arbeit

Weil es nicht oft genug gesagt werden kann: Frauen leisten, im Schnitt 43-44 % mehr unbezahlte Sorgearbeit als Männer – das entspricht rund 76 Minuten mehr pro Tag (Destatis/BMFSFJ, Zeitverwendungserhebung 2022). Diese Arbeit (bei Männern wie Frauen) taucht in keinem Monatsreport auf, fließt in keine Zielvereinbarung ein, bringt für die Rente rein gar nichts und wird bei der Bewertung von Produktivität schlicht ignoriert.


💭 Hilft möglicherweise: Definiere so konkret wie möglich, was bedeutet "geschafft" wirklich für dich? Was leistest du jeden Tag wirklich, das du gar nicht mehr wahrnimmst? Was ist das eine To-Do des Tages, dass dir persönlich dein Gefühl von "Ich habe heute etwas geleistet." gibt? Was ist Leistung für dich? Was konkret macht einen produktiven Tag zu einem produktiven Tag?

Das klassische Bild: Wer lange im Büro sitzt, arbeitet automatisch viel. Doch die Realität hat sich verändert. Laut Statistischem Bundesamt arbeiteten 24,1 % der Beschäftigten im Jahr 2024 zumindest teilweise von zu Hause. Ich für meinen Teil bin dankbar für die Flexibilität, die uns das von zu Hause arbeiten ermöglicht. Doch gleichzeitig sei gesagt, dass ich mich dadurch selten produktiver fühle als noch zu Bürozeiten. Wenn, dann ist die Situation komplexer geworden.

Die insgesamt sehr interessante Langzeitstudie der BARMER & Uni St. Gallen (PDF) zeigt: Mobiles Arbeiten steigert die wahrgenommene Produktivität, erschwert aber das Abschalten. Wie gesagt ich persönlich fühle mich nicht produktiver, das liegt womöglich an dem massiven Problem des Abschaltens. Wie bewerte ich meine eigene Leistung, wenn ich gleichzeitig den Druck habe genau jetzt (in den 5-6 Stunden, in denen die Kinder anderswo betreut sind) Leistung abzurufen, egal welche Umstände vorliegen. Das ist meine Zeit, Geld zu verdienen und nicht:

  • Sport zu machen 🏃
  • Haushalt zu erledigen 🧹
  • Zu entspannen (diese Ruhe!) 🧘
  • DIY-Projekte zu erledigen 🛠️
  • Zu essen oder gar Essen zu zubereiten 🥘
  • Mal alleine zu duschen… 🚿
  • Aus dem Fenster zu starren 🪟
  • Ein Gespräch mit dem Partner zu führen, dass nicht unterbrochen wird 🗨️

Soweit ich weiß ist laut Arbeitszeitgesetz in 6 Stunden noch nicht mal eine Pause „eingeplant“. Wieder trifft hier die Vorstellung eines linearen 8 Stunden Arbeitstages auf die Realität eines Menschen mit natürlich schwankender Energie und dem Auf und Ab des Lebens an sich – vor allem (aber nicht nur) bei Menschen, die sich um andere Menschen kümmern.

💭 Hilft: Entkopplung von "Geld verdienen" und Produktivität. Alle Tipps, die ich hier geben könnte, sind gewürzt mit einer unangenehmen Prise von Heuchelei. Ein Tropfen auf dem heißen Stein. Ich übe mich selbst darin, mir tagtäglich zu erzählen, dass ich nicht jede Woche 20 abrechenbare Stunden abreißen kann (mental und körperlich wäre das ungesund). Doch solang es kein bedingungsloses Grundeinkommen gibt, bleibt nur das: Wir machen uns etwas vor und arbeiten an unserem Mindset. 😁 #IchHabeAuchKeineLösung

Sich um die Liebsten kümmern bedeutet oft: Arzttermine am Vormittag, Kita-Abholung am Mittag, Hausaufgabenbetreuung am Nachmittag – und dazwischen bitte auf Knopfdruck produktiv und fokussiert arbeiten und hoffen, dass es keinen Anruf gibt, der die wervolle Erwerbarbeitszeit unverhofft verkürzt.

Forschungen zu Unterbrechungen zeigen, dass häufige Kontextwechsel (keine Pausen!) zwar kurzfristig zu schnellerem Arbeiten führen können (manchmal ja auch erstaunlich, was man an einem Tag so alles erledigen kann), aber Stress, Frustration und Erschöpfung erhöhen (hier zeigen sich dann die Tage, an denen gar nichts mehr geht). [Siehe: The cost of interrupted work: More speed and stress (2008); Work interruptions of office workers: The influence of the complexity of primary work tasks on the perception of interruptions (2024)]

Vier Stunden Erwerbstätigkeit in meiner kinderlosen Zeit sahen einfach anders aus als vier Stunden Arbeit jetzt. Ich würde sogar behaupten ich schaffe heute mehr in vier Stunden, weil ich muss. Gleichzeitig schaffe ich nicht nur mehr, sondern belaste mich auch mehr, weil ich muss.

Es ist keine Frage, ob ich heute produktiv sein kann oder nicht, ob ich heute langsamer mache oder nicht – es ist absolut erforderlich produktiv zu sein. Vier Stunden Arbeit sind für mich persönlich heute viel mehr wert als damals. Und vier Stunden Pause haben gefühlt fatalere Konsequenzen als damals.

Wir dürfen uns der Kosten bewusst werden, die die ständigen Unterbrechungen und auch der – hoffentlich mittlerweile allseits bekannte – Mental Load (hier eine Auffrischung als Comic) in Bezug auf unsere Produktivtät im klassichen Sinne, mit sich bringt.

💭 Hilft möglicherweise: Nicht von besseren Zeiten träumen (egal ob in der Vergangenheit oder Zukunft), als alles noch anders war oder man wieder mehr Zeit haben wird. Wir haben alle gleich viel Zeit pro Tag (über die anderen Ressourcen sprechen wir kurz mal nicht – ich weiß die Aussage stimmt so nicht). Nutzen wir, was wir haben. Bewerten wir das Hier und Jetzt. Wie produktiv waren wir heute? Nicht im Vergleich zu gestern, oder morgen und auch nicht gemessen an fremden Erwartungen. Vielleicht gemessen an dem Sinn des Tages für dein Leben, wenn du den Tag ausstellen würdest im Museum deines Lebens á la John Strelecky... War er erfüllend?

Im Jahr 2023 arbeiteten 31 % der Angestellten in Deutschland in Teilzeit. Besonders auffällig ist der Unterschied zwischen den Geschlechtern (Überraschung!): Während jede zweite Frau (50 %) in Teilzeit beschäftigt war, lag die Quote bei Männern nur bei 13 % (Statistisches Bundesamt, Destatis).

Was in der Statistik aber nicht sichtbar wird: Teilzeit bedeutet nicht automatisch halb so viel Leistung. Meine gewagte (meines Wissens nach noch nicht wissenschaftlich gestützte) Behauptung: Gerade Eltern – und besonders Frauen – schaffen in Teilzeit oft fast das Gleiche wie Kolleg:innen in Vollzeit (gilt nicht für alle, aber für viele). Sie arbeiten fokussierter, bündeln Aufgaben und lassen weniger Leerlauf zu. Doch weil die reine „Anwesenheit“ zählt, wird diese Produktivität häufig übersehen.

Manche ziehen daraus ihre eigenen Schlüsse: Statt offiziell Teilzeit zu beantragen, bleiben sie bei einem Vollzeitvertrag – leisten aber de facto weniger Stunden. Warum?

Ich habe selbst oft genug erlebt: Sobald meine Führungskräfte bemerkt haben, dass ich schneller arbeite, habe ich einfach mehr Arbeit bekommen und so mehr in weniger Zeit erledigt als manche Kolleg*innen. Ich fand schon damals, dass diese Belohnung für effizientes Arbeiten, etwas seltsam anmutet. „Toll, wie du das schaffst, hier hast du noch mehr!“

Produktivität braucht Pausen. Und es gibt im Angestellten-Dasein längst Graubereiche, in denen Menschen für ihre Leistung inkl. Pausen und Leerlauf fair(er) bezahlt werden, obwohl sie faktisch weniger Stunden arbeiten. Wenn das offen möglich wäre – und nicht heimlich –, würden vielleicht ganz andere – meiner Meinung nach längst überfällige – Arbeitsmodelle entstehen.

Das Problem (als ob es nur eines wäre… ich weiß) liegt in der Messung: Klassische Kennzahlen wie „Anwesenheitsstunden“ oder „Aufgaben pro Tag“ bestrafen Teilzeitkräfte, obwohl diese pro Stunde oft mehr leisten. Ergebnis-orientierte Modelle – die Ergebnisse statt Zeit bewerten – könnten hier gerechter sein. Ob das am Ende inklusiver ist und wie genau das gemessen werden soll, bleibt diskutabel. Aber es zeigt: Die lineare Gleichung „mehr Stunden = mehr Produktivität“ ist längst überholt.

💭 Hilft: In der Welt, dem System in dem wir gerade leben? Mir fällt nichts legalles ein. Was hier passiert ist, meiner Meinung nach, ein strukturelles Problem, dass sich auf individueller Ebene nicht lösen lässt. Jeder findet hier seine eigenen Wege. Ich habe mich selbstständig gemacht und bin auf dem Weg, dass ich mir meine Pausen und Leerlauf auch bezahlen kann. 

Ich sage es, auch wenn es offensichtlich ist: Unsere Welt würde ohne Menschen, die sich um andere Menschen kümmern nicht funktioneren. Ob das nun Kinder, Senioren oder andere pflegebedürftige Menschen sind.

Trotzdem ist es ein Fakt, dass unsere Welt nicht für diese sich kümmernde Menschen gemacht ist. Weder der Begriff Produktivität, noch das Verständnis von Leistung wurde von dieser vermeintlichen „Randgruppe“ geprägt. Die geneigte Leserin merkt vielleicht in welche Richtung wie uns bewegen. Ich will es hier kurz halten und dir dieses eindrückliche Video dalassen:

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Mehr Informationen

Wir müssen nach dem Verständnis von Leistung leben, damit wir Geld verdienen können, doch wir müssen und nicht durch die allgemeine Definition von Leistung definieren. Diese allgemeine Definition von Leisutng macht nicht unseren Wert aus.


Menschen mit Sorgeverantwortung leisten Tag für Tag doppelte Schichten. Wenn wir weiterhin versuchen, uns an veralteten und sehr linearen Leistungsstandards zu messen, die uns nie mitgedacht haben, setzen wir uns selbst unnötig unter Druck, der weder fair noch produktiv ist.

Wenn wir an den Gegebenheiten nichts ändern können, dann können wir nur ändern, wie wir selbst über Leistung und Produktivität denken und sprechen. Denn uns weniger Druck machen, klingt leichter als gesagt. Ich für meinen Teil kann das sehr gut und kann nicht einfach damit aufhören. Doch es könnte vielleicht so klingen:

„Ich war heute so produktiv: Wir hatten als Familie einen tollen Morgen. Kuscheln, Küsse und Geschrei. Ich habe nichts vergessen und an alles gedacht. Es gab nur einen Meltdown, weil die Hose nicht das richtige Muster hatte und ich bin nicht laut geworden. Mittags haben haben wir zusammen gekocht und ich hatte genug Energie das übliche „Ihh, das esse ich nicht. Ekelig. Bah.“-Gebaren gelassen zu begleiten, weil ich vor Feierabend so übertrieben produktiv war, noch 15 min zu meditieren.“

Ich mag auch die Herangehensweise von Ali Abdaal:

(Mehr dazu kannst du im Buch „Feel Good Productivity“ [Amazon Affiliate Link] lesen.
Alternative zu Amazon: Buch7 )

Ideenreiche Grüße
Antonia (@frauidee)

Antonia Ludwig Illustration mit gelben Hoodie und Glühbirne mit Gehirnstrukturen.
P.S.: Die Vorlage für diesen Artikel stammt aus dem VIB-Programm von Judith aka Sympatexter, welches ich nur wärmsten empfehlen kann (unbezahlt). I'm glad to be part of being a very interesting Blogger! 😁

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