
Überblick (Lesezeit: 9 Min)
- 1. Ein Song, der etwas in mir ausgelöst hat
- 2. „Du machst es dir leicht“ – Der Vorwurf meines Lebens
- 3. Mythos Disziplin: Erfolg muss schwer sein – ja fast schon wehtun.
- 4. Die absurde Logik dahinter
- 5. Warum „hart“ und „einfach“ keine universellen Kategorien sind
- 6. Die Doppelmoral der Leistung
- 7. Struktureller Blick: Warum uns „Schwere“ beigebracht wird
- 8. Mein Gegenentwurf: Einfach ist erlaubt
- 9. Alternative Wege zu finden ist selbst… nicht so einfach 😁
- 10. Inspiration, wie du dein eigenes „Einfach“ findest
- 11. Weil es auch meine Fata Morgana ist
1. Ein Song, der etwas in mir ausgelöst hat
„Und was würden Sie sagen war Ihre Fata Morgana? Welche Lüge hat man Ihnen erzählt?“
– Pilatus
„Es ist nicht so einfach…“
„Warum nicht?“
„Nein, das war die Lüge, die man mir erzählt hat: Dass es nicht so einfach wär. Diese Lüge erzählen sie dir immer und immer wieder.“
Um den Song zu hören, hier die Spotify-Einbettung anzeigen lassen und „Inhalt entsperren“.
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Weitere InformationenDieser Song ging mir durchs Ohr, in den Kopf, ins Herz und dann in den ganzen Körper. Ich kann ihn immer noch stundenlang hören. Er versetzt mich in eine Stimmung, die ich als zufriedene Melancholie beschreiben würde.
Er bewegt mich und das jedes Mal, wenn ich ihn höre. Ich denke darüber nach, wenn ich den Song nicht höre, und ich habe so vielen davon erzählt, weil ich das Bedürfnis habe, meine Faszination zu teilen, und erwarte, dass alle davon fasziniert sein müssen! 😋
Es geht sogar so weit, dass ich jetzt einen Blogartikel darüber schreibe, was dieser Song in mir auslöst.
Im Original stammt das Zitat aus dem Film "Bleed for this" –falls du dich das genauso gefragt hast wie ich. Ein biografischer Boxfilm, über einen Boxer, der sich bei einem Autounfall den Nacken gebrochen hatte.
Der Disziplin-Mythos – in 5 Sätzen erklärt
Wir wachsen mit der Idee auf, dass alles Wertvolle schwer sein muss.
Dass Disziplin, harte Arbeit und Anstrengung der einzig legitime Weg zum Erfolg sind. Aber „einfach“ ist hoch individuell – und harte Arbeit sieht für jeden anders aus.
Für neurodivergente, introvertierte oder vielbelastete Menschen (z. B. Eltern) ist der hart disziplinierte Weg oft nicht nur der falsche, sondern auch ein Lähmender. Wenn wir Wege wählen, die zu unserer Persönlichkeit passen, merken wir, dass es einfach sein darf – und dass es das für uns schon immer war oder hätte sein können, weil wir natürlich nicht gesellschaftliche Strukturen außer Acht lassen dürfen.
Trotzdem oder gerade deswegen dürfen wir es uns leichter machen, die Welt ist hart genug, auch ohne dass wir es uns noch schwerer machen.
2. „Du machst es dir leicht“ – Der Vorwurf meines Lebens
Sätze, die ich sehr oft gehört habe:
„Immer gehst du den leichten Weg.“
„Du kannst nicht immer den Weg des geringsten Widerstands gehen.“
Der Vorwurf, der dahinter: Faulheit.
Ich sei zu bequem, zu wenig bereit, mich wirklich zu bemühen. Und wenn ich einen für mich leichteren Weg sehe, dann ist es nicht in Ordnung, diesen zu wählen.
Und ja, ich war lange überzeugt, dass ich extrem faul bin. Und das stimmt, wenn es bedeutet, dass ich Anstrengung vermeide, wenn es nicht unbedingt sein muss. Macht das meinen Mann manchmal wahnsinnig? Vermutlich. Ich sehe einfach keinen Sinn darin, den Dachboden aufzuräumen. Solange ich alles finde, kann der Dachboden machen, was er will.
Aber:
- Habe ich keinen Ehrgeiz? Doch, und zwar sehr viel.
- Habe ich keinen Antrieb? Doch einen sehr großen.
- Mache ich oft „nichts“? Eigentlich nie.
Nur… muss ich mir deswegen mein Leben schwer machen? Lassen sich Ambitionen nur mit Schwere realisieren, mit Zusammenreißen und Durchhalten?
3. Mythos Disziplin: Erfolg muss schwer sein – ja fast schon wehtun.
Unser Leistungsnarrativ geht so:
- Wenn es herausragend sein soll, musst du über deine Grenzen hinaus.
- Wenn es gut ist, muss es schwer sein.
- Wenn es wertvoll ist, muss es weh tun.
- Belohnt wirst du nur, wenn du deine Komfortzone verlässt.
„No pain, no gain“
Und damit wird fast alles als „nicht so einfach“ verkauft:
- Eine Doktorarbeit schreiben: Es ist nicht so einfach.
- Sich selbstständig machen: Es ist nicht so einfach.
- Studieren: Es ist nicht so einfach.
- Millionär*in werden: Es ist nicht so einfach.
Die Botschaft ist immer gleich:
„Nur harte Arbeit bringt Erfolg“,
„Ohne Disziplin geht nichts“
„Es ist kompliziert.“
4. Die absurde Logik dahinter
„Was soll nicht einfach sein?“
– Pilatus
„Einfach alles. Ganz egal was. So kriegen sie dich zum aufgeben. Sie sagen: „Es ist nich so einfach, Vinny.““
„Und worin liegt die Wahrheit?“
„Dass es so ist. Wenn du das tust, was sie dir erzählen, dann kriegst du nichts hin, dann dann.. dann war’s das. Dann merkst du, dass es ganz einfach ist… und dass es das immer war.“
Und absurderweise ist das wahr. Wenn wir versuchen, es genau so zu machen, wie „die Leute sagen“, dann wird es tatsächlich nicht funktionieren.
Ich jedenfalls bekomme „nichts“ hin, wenn ich Karriere nach Lehrbuch versuche. Ich verdiene auch keine 10k im Monat, wenn ich Marketing und Businessaufbau klassisch angehe.
Bestes Beispiel: Ich habe bei meiner Positionierung zwei Jahre lang versucht, auf den Ratschlaf zu hören, dass ich mich fokussieren und für eine Richtung entscheiden müsse.
- eine Nische,
- eine Zielgruppe,
- ein Produkt.
Das Ergebnis: Stillstand. Erst als ich aufgehört habe, auf diesen Ratschlag zu hören und mich künstlich zu reduzieren, habe ich angefangen, wirklich Geld zu verdienen.

5. Warum „hart“ und „einfach“ keine universellen Kategorien sind
Hier kommt ein Punkt, der oft fehlt:
Einfach ist für jeden anders.
Was für mich leicht von der Hand geht, kann für andere unglaublich schwer sein – und umgekehrt.
„Einfach“ ist kein objektives Maß. Es ist ein persönliches Signal: Hier funktioniere ich so, wie es gedacht ist. Hier passt es zu mir. Es fühlt sich einfach(er) an.
Und genauso: Harte Arbeit sieht für jeden anders aus.
Für manche bedeutet harte Arbeit körperliche Anstrengung. Für andere bedeutet harte Arbeit:
- Reizüberflutung regulieren
- Entscheidungen treffen
- Grenzen setzen
- Routinen halten
- sichtbar sein
- oder überhaupt erst anfangen
Wir tun so, als wären Disziplin, Durchhaltevermögen und Leistungsbereitschaft messbare Größen. Sind sie nicht. Sie sind zutiefst individuell. Dahinter stehen Konzepte, die in ihrer Bewertung an Ungleichheit und Ungerechtigkeit kaum zu übertreffen sind.
6. Die Doppelmoral der Leistung
Diese absurde Dynamik, dass es nicht so einfach ist, aber wenn du es so machst – einfach machst und den schweren, harten Weg durchziehst –, dann wird es klappen. Ein paradoxes Narrativ, dass sich hartnäckig hält.
- Es ist nicht leicht.
- Aber wenn du dich nur genug disziplinierst, dann ist es ganz einfach.
Wenn es keine Doppelmoral ist, dann ist es ein schmaler Grad. Klar ist es nicht so leicht ein Buch zu schreiben, das ist kompliziert. Aber wenn du dich anstrengst und jeden Tag dich disziplinierst 1000 Wörter zu schreiben, dann ist es ganz einfach. Wenn du dich nur genügend disziplinierst, dann ist es ganz einfach.
Was den nun? Quälende Leichtigkeit? Durch Disziplin wird es einfach – aber ohne Disziplin ist es nicht einfach? Das ergibt keinen Sinn. Für niemanden.
Und irgendwo in dieser Doppelmoral hängt auch die kleine Schwester dieses Disziplin-Mythos: „Wenn du dich nur mehr anstrengst, kannst du alles schaffen.“ Ein Thema für einen baldigen eigenen Artikel – denn auch das ist eine viel größere Lüge, als wir glauben.
7. Struktureller Blick: Warum uns „Schwere“ beigebracht wird
Es gibt Gründe, warum uns „Leichtigkeit“ ausgetrieben wird, darüber werden ganze Bücher geschrieben, trotzdem will ich es hier trotzdem nicht unerwähnt lassen.
1. Systeme profitieren davon
Wenn wir als Menschen in der Mehrheit glauben, dass wir zu klein, unbedeutend, zu chaotisch, zu unstrukturiert sind, bleiben wir:
- abhängig
- kontrollierbar
- berechenbar
Zweifel und auch Angst halten uns in der Spur. Wie gesagt, das ist komplex, doch auch irgendwie der Kern.
2. Gesellschaftliche Normen
- lineare Produktivität
- ständiges Optimieren
- höher, schneller, weiter
- Hustle-Kultur
Wer sich leicht tut, wird verdächtig und muss geschummelt oder gar betrogen haben. Wer Freude am Arbeiten hat, wirkt unseriös. Wer weniger leidet, wird nicht ernst genommen.
Besonders im Kontext von Mutterschaft scheint Leichtigkeit verpönt. Da darf nichts leicht sein. Da sollst du alles lieben, alles managen, alles tragen – aber Leichtigkeit? Bloß nicht. Das sprengt hier den Rahmen, bekommt aber bald einen eigenen Artikel.
8. Mein Gegenentwurf: Einfach ist erlaubt
Ich brauche im Business meine Mehrgleisigkeit. Nicht, weil ich flatterhaft bin, sondern weil ich so funktioniere. Für mich ist das einfacher so, nicht unbedingt leichter, aber einfacher.
Ich brauche mehrere Schreibprojekte, weil ich mich sonst langweile. Ich brauche Freude als Motor und nicht Disziplin als Peitsche oder gar stumpfes Durchhalten als Erfolgsgarant.
🔗 Hier schreibe ich über 5 Gründe, warum wir Produktivität als ein Ausdruck von Leistung neu denken sollten: So wichtig wie nie: Warum wir Produktivität neu denken müssen – für Menschen, die sich um Menschen kümmern
Wichtig: Einfach heißt nicht leicht.
Mehrere Projekte und hohe Ziele sind für mich einfacher – aber nicht „leicht“. Ich strenge mich trotzdem an. Ich gebe viel Energie rein. Aber ich leide nicht dabei. Ich arbeite mit meiner Persönlichkeit, nicht gegen sie.
9. Alternative Wege zu finden ist selbst… nicht so einfach 😁
Weil:
- sie unbekannt sind
- sie risikoreicher wirken
- sie gegen das Erwartbare laufen
- sie gesellschaftlich nicht bestätigt werden
Der Weg einer introvertierten, neurodivergenten Mama, ohne reiche Eltern, Unternehmerin zu werden?
Standard-Business-Ratschläge machen diesen Weg sehr schwer. Ich habe es versucht.
Meine Art macht ihn leichter für mich. Nicht weniger aufwendig. Nicht weniger anspruchsvoll. Aber leichter. Meine Art macht die Reise zur Unternehmerin zu einer, die ich genießen kann und nicht eine, die mich langsam kaputt macht.
Das ganze Thema ist so herrlich nuanciert, oder? Ich lieb’s. Du auch? Wir sehnen uns und alles nach Leichtigkeit, so sehr, dass das Marketing darum schon so ausgelutscht ist, dass wir es nicht mehr hören können.
Ich für meinen Teil brauche nicht Leichtigkeit, ich brauche einen logischen Weg für mich, einen, der einfacher ist und mit weniger Reibungsverlusten auskommt. Ich muss mir das Leben nicht noch schwerer machen…
10. Inspiration, wie du dein eigenes „Einfach“ findest
- Frage dich: Wo mache ich Dinge komplizierter, als sie sein müssten?
- Tools bewusst einfach halten: Ein Zettel statt drei Apps tut es auch.
- Freude als Filter nutzen: „Macht es mir Spaß?“ → Dann wird es einfacher.
- Erlaubnis geben: Du brauchst dich für Einfachheit nicht rechtfertigen.
- Beachten: Einfach ist für jeden anders.
- Und: Harte Arbeit ist für jeden anders.

11. Weil es auch meine Fata Morgana ist
Es ist nicht immer gleich mangelnde Disziplin oder Faulheit, wenn wir es uns leicht machen. Es ist eine notwendige und ziehmlich schlaue Anpassungsstrategie.
Wir müssen uns nicht dauerhaft an unser Leben anpassen, wir dürfen uns erlauben, das Leben an uns anzupassen. Denn all die Bereiche, in denen das nicht geht, machen das Leben schon hart genug.
Darum macht dieses Lied so viel mit mir. Weil es eine der größten Lüge war, die ich geglaubt habe, dass es schwer sein muss. Weil es mir die größte Freiheit gibt, mir zu erlauben, dass es einfach sein darf.
Ideenreiche Grüße
Antonia
👉 Ich freue mich wirklich maßlos, wenn du die Kommentar-Funktion nutzt, um deine Gedanken dazu mit mir zu teilen.




1 Gedanke zu „Mythos Disziplin: Warum wir glauben, dass alles schwer sein muss“
Liebe Antonia!
Ich finde deinen Artikel total inspirierend. Darüber nachzudenken, was ich mir in meinem Leben schwer mache, sodass der Spaß abhandenkommt. Das Lied werde ich mir im Anschluss anhören. Bin sehr gespannt.
Danke für diesen Artikel über einen Liedtext, der dich so begeistert hat. Es geht mir auch oft so, dass es durch Musik leichter ist, manche Dinge zu hinterfragen. Manchmal weiß man gar nicht, warum. Hier werde ich jetzt besonders auf den Text achten!
Außerdem ist es immer wieder toll, mal aus seiner Musik-Komfortzone geleitet zu werden und andere Songs kennenzulernen.
Liebe Grüße
Anke